14.6.2020  Die Eröffnung    –   Die Rede von Matthias Riemann

 

Matthias Riemann
Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Zwischenzweien zwei“
Anne Brömme und Jürgen Morgenstern
Küchengartenpavillon Hanover, 14.6.2020

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren, auch von mir ein herzliches Willkommen und an den
Veranstalter vielen Dank für die Einladung, zu dieser Ausstellung zu sprechen. Sie, liebe Gäste,
erwartet heute etwas Besonderes. Und zwar gleich in doppelter Hinsicht. Zum einen werden Sie
bemerken, dass das Werk, um dessenwillen hier eine Eröffnung stattfindet, zwar auf den ersten Blick
erkenntlich ist, in Form gezeichneter und gemalter, abgeschichteter und übereinander gelagerter
Farben und Farbschichten, die sich zueinander in Beziehung setzen. Aber dann werden Sie hören,
dass dieses Werk aus einer engen – gleichwohl mit Abstand getragenen Verbindung entstanden ist.
Es verdankt sich einem Dialogprozeß, der über mehrere Wochen sich spann und in These und Antwort
entwickelt wurde. Ein Dialog aus Malerei und Musik, ein Dialog zwischen der Malerei Anne Brömmes
und der Musik des Jazzmusikers Jürgen Morgenstern. Was also das Werk genau ist, um dessentwillen wir
versammelt sind, wird sich jeweils von Person zu Person unterscheiden– sicher die ausgestellten Werke –
aber die doch nicht ohne die Musik – sicher das Werk in der Verbindung der beiden Künste – aber die doch
eigenständig und separat lesbar. Die zweite Besonderheit liegt im Ablauf dieser Eröffnung.

Sie erleben jetzt gleich eine Performance der beiden Künstler, an dessen Ende ich mit meiner Rede
fortfahren werde. Das hat den Vorteil, dass Sie, verehrte Gäste, beide Künstler in Aktion erleben
können und etwas von dem nachspüren können, was von beiden als Dialog ihrer Arbeiten benannt wurde,
in These und Antwort, mal sie Impulsgeberein, mal er, mal sie Antwortende, mal er. Hier, in der Performance,
wird dieser Dialog gleichzeitig gestaltet, sich spontan in Aktualität anregend. So mögen Sie sich schon
jetzt auf den Umfang dieser Ausstellung einstellen: es beginnt mit der Performance,
die für sich ohne weitere Erklärungen und sprachliche Umsetzungsbemühungen stehen bleiben wird
und setzt sich fort in der Ausstellung mit den gezeigten Bildern in den Räumen des Küchengartenpavillons.
Seien Sie nun neugierig auf die Künstler in Aktion. Anne Brömme und Jürgen Morgenstern.

Die Ausstellung von Anne Brömme und Jürgen Morgenstern trägt den Titel: Zwischenzweien zwei.

Dazu muss man wissen, dass es bereits eine Nr eins gab: Zwischenzweien eins hieß das erste
Dialogprojekt 2010, bei dem die entstandenen Improvisationen im Atelier Grammophon
ausgestellt wurden. Jetzt, 10 Jahre später, erneut ein Dialog zwischen Zweien: der bildenden
Kunst und der Musik, zwischen dem Sehen und dem Hören, dem Auge und dem Ohr, zwischen
Pinsel und Instrument, zwischen
Improvisation und Partitur. Dem Klang und der Farbe. Dem Sound und dem Bild. Es ist
ein Kunstprojekt, das sich aktuell den Bedingungen der Coronazeit verdankt. Kunst lebt
schließlich von der Resonanz – schwierig, wenn die Resonanz zwischen KünstlerIn und
Rezipient unterbunden ist. Bezugspunkte von außen wurden für viele Menschen wichtiger
denn je – für die beiden Künstler auch. Es entstand die Idee eines Tagebuches. „Wir
sind so gefrostet und müssen in die Bewegung, den Austausch“ sagte sie. Am 8. April
stellte Anne ihr erstes Dialogbild fertig – Jürgen Morgenstern antwortete mit seiner
Musik. Sie schickten sich die Werke zu, besprachen sie, wagten ein neues Experiment.
Einmal begann die Musik – die bildende Künstlerin antwortete. Dann umgekehrt. Es
entstanden Hallräume auf der Leinwand, Dialoge nicht face to face, sondern von außen
in ein Drittes hineingetragen. Martin Buber machte darauf aufmerksam, dass das Ich im
Gespräch mit dem Du zum Ich wird. So entsteht etwas Neues. Oder anders gesagt: Das
Ich kommt über das Du zu einem vertiefenden Begriff seiner selbst. Wer will, mag auch
Ernst Bloch erinnern: Ich bin, aber ich habe mich noch nicht. Wir wissen mithin noch
nirgends, was wir sind, zuviel ist voll vom Etwas, das fehlt.
Dieses Etwas hat es beiden angetan. Den Raum, der durch Bewegung entsteht, neu
auszuloten. Dem Dazwischen auf die Spur zu kommen. Jede und jeder, der oder die
schon mal ein weißes Blatt vor sich hatte, wird wissen, dass dieses Blatt zwar nicht weiß
bleiben wird – aber wie wird es werden? Wird es zu einem Sehnsuchtsort? Wird es von
der Aura des Geheimnisvollen getragen sein? Von Worten, die ich wirklich abschicken
will an den Geliebten, an die Geliebte? Von der Situation, die ich gefühlt habe, als ich
wagte, den Pinsel oder den Griffel aufs Papier zu bringen?
Vom Klang der Weite oder
der Enge, den Horizonten unseres Lebens – wir können viele Methaphern benutzen,
um auszudrücken, um was es hier geht: um den expressionistischen Akt, allein vor
einem weißen Blatt zu sein und durch die unendlichen Möglichkeiten sich hindurchzuarbeiten
zu dem hin, was man vielleicht als das Etwas, als das Dazwischen, als das, was
jede oder jeder mehr ist als Körper und Äußerlichkeit, bezeichnen kann.
Die Arbeiten von Anne Brömme im Galerieraum des Küchengartenpavillons
geben Zeugnis ab von diesem nie versiegendem Prozeß, das Dazwischen der Welt
auszuloten in dem, was sich unberührt knapp aneinander vorbeibewegt, doch
Berührungen ausdrückt, in dem, was dem Knall oder der Stille, dem Termendo
oder der Phrase Widerhall gibt. Für mich drückt sich in den Bildern selber das
Dazwischen aus, was ursprünglich und eigentlich auf den Dialog zwischen bildender
Kunst und Musik bezogen war und dort seinen Ursprung hatte. Die Striche
und die Flächigkeit des farblichen Auftrages, die Schichten, die sich abbilden und
wieder ablösen. Die Spannungen zwischen den Rissen und Glättungen. Anne
Brömme benutzt selber dafür das Wort Farb-Klang: Es entsteht Tiefe, Schichtung
und Farb-Klang. Sie deuten in der schemenhaften Darstellung und gleichzeitig
der Konkretheit von Körpern an, dass da zwei noch nicht fertig sind mit sich, dass
dort – in dem Innehalten und gleichzeitig in dem Festhalten eines Momentes
höchster Dringlichkeit ein Hin- und Herpendeln, ein schwingender Rhythmus
nachzuerleben ist. Dem korrespondiert der Entstehungsprozeß selber, der Auftrag
der Farbe mit ganz unterschiedlichen Materialien und dem Experiment,
diese Unterschiedlichkeit des Materials in Beziehung zueinander zu bringen.
Anne Brömme hat in Halle studiert. Dozenturen und Gastdozenturen schlossen
sich an. Zahlreiche künstlerische und soziokulturelle Projekte. Stipendien und
Kulturförderungen. Vor 20 Jahren kam Anne Brömme nach Hannover. Sie hatte
eine kleine Werkstatt in der Sedanstrasse. Damals dachte sie bereits viel über Bewegung
nach, einer Visualisierung dessen, was vorbeizieht oder vorbeigeht oder
wie die Zeit vorbeifließt. Der Kontakt zu Jürgen Morgenstern entstand.
Jürgen Morgenstern war bis vor 4 Jahren Musiklehrer an der IGS Linden. In den
80er Jahren kam er zum Jazz. Mitte der 80er zur improvisierten Musik und experimentierte
in den 90er Jahren in der Kombination mit Tanz und Schauspielerei.
In den letzten Jahren gab es viel Kontakt zum Theater.
Es lag wohl nahe, gegenseitige Inspirationen aufzuspüren und ihnen im Dialog
nachzugehen. Das Dazwischen auszuschreiten. Die Balance nicht zu verlieren.
Den Weg zu finden. Mit Acryl und Ölkreide, Zeichenstiften und Kratzern, Pinsel
und Farbe, Kontrabass und Stimme, Ukulele und Spieluhr, Kyotaku und Papierfalten,
Stricknadeln und Melodica.

Das Etwas, das fehlt, im Dialog.

Die Frage, ob Visualisierungen der musikalischen Klangwelten in der modernen Malerei
möglich seien, beschäftigte viele Künstler. Lessing verneinte sie noch – ein Auge
sei schließlich kein Ohr und umgekehrt. Aber spätestens mit dem Bauhaus wurden die
ehemals getrennten Künste zusammen gedacht. Paul Klees „Musik unter Tage“ ist ein
Versuch, die Musik und die Kunst zu vereinen. Kandinsky hielt sich an Schönberg,
dessen Musik ihn aufwühlte und zu seinen Impressionen anstiftete. Schönberg
gegenüber erkannte er gemeinsame Bestrebungen. Den Autonomisierungsprozess
der modernen Musik thematisierte Adorno in seinem Frühwerk
der Philosophie der Neuen Musik – fast schon eine Abrechnung mit der Ausbreitung
der seichten Form der Künste in der um sich greifenden Kulturindustrie. Auch bei ihm
tauchte wieder Schönberg auf im Kontrast zu Strawinsky, dem er Rückschrittlichkeit in
der Verwendung des musikalischen Materials bescheinigte.

Im Galerieraum des Küchengartenpavillons erwarten Sie 7 Wandbilder, davon zwei
großformatige, hochkantig gearbeitete Werke. Beide sind farblich extrem sparsam
gehalten, fast schwarz-weiß Monumente. Neben der Treppe (Dialog 13: Bild: Acryl,
Kreiden, Oilstick, Grafit auf Holz, 184 x 85 cm Sound: Kontrabass, Stimme, Ableton Live)
zwei zueinander gewandte, jedoch in gegensätzliche Richtungen sich bewegende –
fast stürzende Körper. Auf der anderen Seite (Dialog 10, Acryl, Kreiden, Oilstick, Grafit
auf Holz, 184 x 85 cm im Gespräch mit Kontrabasssamples, Ableton Live) eine abstrakt
gehaltene Arbeit, die in ein Oben und ein Unten getrennt erscheint und in ihrer
schwarz-weiß Anmutung technische Assoziationen freisetzt, als seien es Abbildungen
von Geräten, die in ein Inneres schauen könnten.
Über dem Kamin die beiden kleineren Arbeiten, Berührungen, mit zwei Handskulpturen
davor, die sich noch nicht berühren, aber es wohl jederzeit gleich tun könnten.
In den beiden Wandbildern berühren sich die Vertikale und die Horizontale, an den
Berührungsstellen von sich findenden Händen, Knäuel artig gebunden (Dialog 11 Bild:
Acryl, Kreiden, Oilstick, Grafit auf Leinwand, 50 x 50 cm Sound: Papier(falten), Kyotaku
(Hi Fu Mi) bzw roter Farbe in der Mitte gehalten. (Dialog 12 Bild: Acryl, Kreiden, Oilstick,
Grafit auf Leinwand, 50 x 50 cm Sound: Stricknadeln, Melodica, Ableton Live). Klassische
Kreuzesdarstellungen operieren in der Regel hier nur mit dem Material – Hände
kommen, wenn sie denn zu sehen sind, in Kruzifixdarstellungen, sprich: dem Körper des
Gekreuzigten vor – als durchbohrte, leidende Hände, durch die Nägel geschlagen sind.
Anne Brömme variiert dies Thema, indem sie hier in der Horizontalen die Hände sich
aufeinander zubewegen lässt.
Der Treppe gegenüber die beiden Dialoge 2 und 5 (unten) und daneben die
hochformatige Arbeit: Dialog 8: (Bild: Acryl, Kreiden, Oilstick, Grafit auf Holz,
130 x 105 cm Sound: Kyotaku, Bass-Ukulele, Spieluhr, Ableton Live).

Zum Dialog 5 wird in dem Internetblog von Anne Brömme
der persische Sufi-Dichter, Rumi (1207-1273) zitiert:

Hier ist der Weg!
Die Luft trägt den Klang der Trommel herbei.
Ebenso schlägt mein Herz.
Aus dem Rhythmus wird eine Stimme:
„Ich weiß, daß du müde bist.
Aber komm, hier ist der Weg!“

Im Dialog 2 wechseln sich scharf und unscharf gehaltene Partien einander ab
genauso wie zarte, sehr nahe und fließende Übergänge sich neben abrupten
Abgrenzungen wiederfinden.
Wenngleich die einzelnen Dialogbilder in ihrer Entstehung oder in ihrer Impulsgebung
mit ganz konkreter musikalischer Improvisation verbunden sind, sind
sie auch ohne sie lesbar, zumal es offen bleibt, ob das Bild Antwort oder Impulsgeberin
war oder umgekehrt. Beide – Musik und Kunst – sind nicht aneinander
gekettet – für ihre Dialoge gilt dasselbe wie für ihre je eigenen Arbeiten: an den
Interpretationslinien improvisierend entlangschreitend, im Sinne des Neu- bzw-
Wieder-Zusammensetzens komponiert.
Wer es genauer wissen will, lasse sich die Dialogmappe von Anne Brömme zeigen,
die bei Anwesenheit der Künstlerin einsehbar und besprechbar ist. Zudem
gibt das Internet Auskunft – auf ihren jeweiligen Blogs gibt es die Nachzeichnung
des Tagebuches und bereits eine ganze Reihe Reaktionen.

Die einzelnen Arbeiten von Anne Brömme sind verkäuflich – eine entsprechende
Liste gibt darüber ebenso Aufschluss wie eine freundliche Nachfrage bei der Künstlerin.
Viel Vergnügen mit den Dialogen – treten Sie nun selber in Dialoge ein!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Matthias.Riemann@