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Text für KUNSTWELTEN II – von Anne Prenzler – Kunst-und Kulturwissenschaftlerin

In der Malerei der Bildhauerin und Malerin Anne Brömme geht es um das Verstehen innerer Zusammenhänge. Spannungsmomente, Harmonien, Überlagerungen, Begegnungen, Verdichtungen, Öffnungen und Leerstellen bestimmen die energie-geladenen Bilder.

Für ihre „Improvisationen“, eine fortlaufende Serie von Zeichnungen, arbeitet sie mit Musikern und Tänzern zusammen. Mit einem eigenen Repertoire an Zeichen, Gesten und Bewegungsspuren agiert sie in gemeinsamen Sessions, greift Klänge auf und setzt selbst Impulse. Daher rühren die klanglichen Dimensionen dieser Arbeiten. Zumal die Künstlerin tönende Maluntensilien verwendet wie Bürsten, Schwämme, Drahtgeflechte oder ihre Finger. Weiterhin weil die Bilder selber Geschichten erzählen, von laut und leise, schnell und langsam, gleichmäßigen Harmonien und dramatischen Akzenten. Es entstehen Wellen und Verwirbelungen, Grenzen und Übergänge, greifende, streichende, fallende, hallende, reibende, kratzende und flügelschlagartige Momente – Bilder die tatsächlich nicht nur zeitliche sondern auch akustische und tänzerische Elemente integrieren und kreieren.

In der Skulptur„Ukulelen“ (2010) vergegenwärtigen die Bearbeitungsspuren auf den Instrumenten das Geräusch und die Bewegung des Schleifens. Die Klangkörper selbst werden zu einem Sinnbild zusammengebunden, das die Aufhebung der medialen Grenzen programmatisch auf den Punkt bringt.

Hände und Körper bilden ein zentrales Thema im Werk. Als Bildhauerin fasst Anne Brömme eine Hand zunächst als plastische Form auf, die aber als Äußerung immer für ein Inneres steht, für eine ganz spezifische Haltung zur Welt. Und so entwickeln ihre Hände eine eigene Sprache. Im „Dialog der Hände“ (2010) wirken sie gar wie zu einem spannungsvollen Austausch zusammen gekommen. Sie erzählen davon, wie wir mit unseren Händen kommunizieren und die Welt und andere ertasten und verstehen.

Anne Broemme in KUNSTWELTEN – 100 Künstler 100 Perspektiven
boesner gmbh (hg.), witten 2012

ZWISCHENZWEIEN

Konzentrierte Stille im Raum. Jürgen Morgenstern beginnt auf seinen Kontrabass zu klopfen, erst langsam und leise, dann immer lauter. Schneller und schneller tanzen seine Finger und Hände über alle Teile des großen Instruments. Anne Brömme kniet vor einem großen weißen Blatt. Nach wenigen Momenten setzt auch sie ein, gibt dem Bild eine erste Richtung. Mit einem kleinen Schwamm wischt und reibt sie, klopft, springt mit der Hand hin und her, die Bewegungen erzeugen einen eigenen Rhythmus, die Striche verdichten sich. Mitunter fügen sich die Rhythmen des Musikers und der Malerin ineinander, steigern sich, fallen asymmetrisch auseinander – bis einer von beiden abbricht und einen neuen Impuls setzt. Jürgen Morgenstern streicht, zupft, pocht und setzt immer wieder auch seine Stimme ein. Anne Brömme zeichnet, reibt, streicht, klopft und malt mit Pinseln, Stiften, Fingern, Schwämmen und kleinen Bürsten. „zwischenzweien“ lautet der Titel, den die beiden ihrem gemeinsamen Projekt gegeben haben. Die Ausstellung zeigt das Ergebnis einer intensiven Zusammenarbeit über mehrere Wochen. Sie demonstriert, was zwischen Zweien passieren kann, wenn bildnerische und klangliche Elemente aufeinander treffen, wie Improvisation über mediale Grenzen hinweg funktioniert und wie Malerin und Musiker einander inspirieren können.

Vollständiger Text von Anne Prenzler als pdf

Im Vorfeld der Ausstellung habe ich mit Anne Brömme und Jürgen Morgenstern über das dialogische Prinzip ihrer Improvisationen gesprochen und darüber, wie sich das Projekt entwickelt hat, denn im Grunde handelt es sich – wie bei einem Forschungsprojekt – um einen unabgeschlossenen Prozess, bei dem die Ausstellung im Atelier Grammophon einen aktuellen Stand abbildet. Mich hat interessiert, wie zwischen zwei doch sehr verschiedenen Ausdruckarten so etwas wie ein Miteinander entstehen kann. Grundvoraussetzung ist anscheinend zunächst nicht das aufeinander eingehen, vielmehr steht am Anfang eine Konzentration auf das eigene Tun. Erst dann können beide als gleichberechtigte Partner agieren und reagieren, können Fäden aufgenommen und weitergesponnen werden, Elemente bewusst kontrastiert, Bögen gebrochen oder auch Aspekte ineinander aufgelöst werden. Und so sind im Zuge der gemeinsamen Szessions Klangcollagen entstanden, die man förmlich sehen kann. Und es sind Bilder entstanden, die man geradezu hören kann. Beide Künstler haben Aspekte des anderen aufgenommen und dabei doch – und das ist ganz entscheidend – konsequent die eigenen Arbeiten weiter vorangetrieben.

Als ein gemeinsames Thema hat sich das Handmotiv herauskristallisiert: Bildnerische Formen ergeben sich letztlich immer aus den Bewegungen einer Hand, die einen Pinsel, Zeichenstift oder ein anderes Malutensil führt. Und mit den Händen kann man zugleich vielerlei Geräusche, Musik und Klänge erzeugen. So verwundert es nicht, dass Hände und ihr Tun und Lassen in verschiedenen Arbeiten dieser Ausstellung als Motiv auftauchen. In der Installation „Meyers Konversation 8“ von Jürgen Morgenstern, die aus zwei Lautsprechern tönt, hören wir eine Flüsterstimme, die ausführlich über Hände, Handknochen und ihre Funktionen referiert, über Knöchel, Speiche, Elle, Drehbarkeit, Beugung, Unterschiede bei Menschen, Affen und anderen Säugetieren. Das Anstoßen der Zunge beim Formulieren der Konsonanten rhythmisiert diese flüsternde Rede. Die Passagen werden mitunter unterbrochen oder überlagert von einem Ton, der sich aus dem Reiben von Handflächen ergibt, mal entschiedener, mal sanfter, und der dann ganz innehält, um der beharrlichen Flüsterstimme den Vortritt zu lassen, die wiederum selbst mehr als Geräusch denn als Informationsträger agiert. So ergibt sich eine klug komponierte Collage aus Sprech- und Schleifgeräuschen, die gegeneinander und miteinander kommunizieren. Der Text stammt aus einem alten Konversationslexikon.

An den Wänden hängen einige Handbilder von Anne Brömme. Hände beschäftigen die Bildhauerein und Malerin seit langem, zunächst einmal als interessante plastische Form, wobei es ihr immer um ein tieferes Verstehen geht, darum welches innere Vermögen sich hier ausdrückt. Und so treten uns die Hände ihrer Bilder in verschiedenen inhaltlichen und symbolischen Facetten gegenüber, als Greifende, Gebende und Haltende, als leise Erinnerung an Berührung oder auch als kathedralenartiges Kraftfeld wie in „sakral“. In dem „dialog der hände“, einer skulpturalen Arbeit, wirken sie gar wie zu einer öffentlichen Versammlung zusammen gekommen. Im Kontext mit den Arbeiten Jürgen Morgensterns geht es nun um die Geräusche, die von diesen Händen ausgehen könnten. Das Flüstern aus dem Konversationslexikon kommentiert das Vermögen und die Qualitäten der Hände auf fast unheimliche Weise. Mit „Sans Son“ („Ohne Ton“) nimmt Jürgen Morgenstern diesen Zusammenhang und das Motiv erneut auf, zeigt zwei Hände, die Ukulele spielen und dabei einen regelrechten Tanz vollführen, miteinander und mit dem Instrument – ohne Ton. Die Ukulele wird dann bei Anne Brömme wiederum zum Gegenstand bildhauerischer Überlegungen. Und die Schleifspuren auf den zur Skulptur gebundenen Instrumenten erzählen von dem Geräusch, das währenddessen zu hören war. Es zeigt sich, wie vielschichtig und immer wieder wechselseitig diese Zusammenarbeit ist, sich überall in Material, Motiv und inhaltlichen Überlegungen widerspiegelt.

Anne Brömme hat sich diesem Projekt von zwei Seiten genähert. Zum einen in einer Auseinandersetzung mit dem Thema Improvisation mit rein bildnerischen Mitteln. Exemplarisch ist hier eine Reihe von drei Arbeiten, die zum Teil vor der eigentlichen Projektphase entstanden sind. Sie thematisieren ein Gegenüber zweier Seiten, das jeweils durchbrochen wird und zeigen, was „zwischenzweien“ passieren kann: In der Arbeit „ergriffen“ durch greifende und geöffnete Hände. In der Arbeit „füreinander“ durch eine Art Strahl und in der Arbeit „wachsen und werden“ übernehmen rhythmisierende Elemente die Regie und überführen die beiden Seiten zu einem lebendigen Ganzen. Sieht man die drei Arbeiten zusammen, so scheint sich die Komposition zu öffnen. Der Bildspannung in der Arbeit „ergriffen“ liegt eine sehr durchdachte Komposition zugrunde, eine klare Vertikale, zu der dynamisierende Diagonalen treten. In der nächsten Arbeit „füreinander“ scheint alles, was fest war, aufgelöst zu sein, verwischt und teilweise skizzenhaft mit mehr Weißraum. In „wachsen und werden“ schließlich wird der Weißraum des Blattes auf einmal zum Teil der Komposition. Es scheint fast so, als würden die stakkatoartigen Striche über den Bildraum tanzen. Mit dieser Bewegung erhält die zeitliche Dimension Eingang in die Arbeit. Hier gelingt es Anne Brömme tatsächlich, einen Bogen zu schlagen zum performativen Moment, und dem ewigen Widerspruch der Bildenden Kunst zu trotzen, den Lessing in seinem Text Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie bereits 1766 beschrieben hat. Dass es der Kunst nämlich – im Gegensatz zur Musik – unmöglich sei, Zeitlichkeit darzustellen.

Anne Brömme ist das Projekt „zwischenzweien“ noch von einer weiteren Seite angegangen – mit Arbeiten, in denen die Improvisation am Anfang stand und die dann später im Atelier weiterentwickelt wurden wie die Arbeit „spuren“, die fast wie eine Partitur funktioniert, in der sich rhythmische und gestische Äußerungen mit dem Zeichenstift oder Pinsel mit flächigen Passagen abwechseln. Bewegtheit und Ruhe, Leichtigkeit und Schwere, feine Strukturen und grob belassene Pinselstriche folgen aufeinander, in jeweils unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Insgesamt ist die Komposition recht dicht und geschlossen mit teils offeneren Passagen. Die Impulse und bildnerischen Elemente aus der gemeinsamen Improvisation bleiben deutlich erkennbar.

Bei der Arbeit „totem“ hat Anne Brömme die Nachbearbeitung noch weiter getrieben und aus der dynamischen Grundlage der Performance eine konstruktivistische Komposition voller Kraft und Spannung entwickelt. Zu der zeitlichen Dimension treten ordnende vertikale und horizontale Linien und Flächen, bilden klare Räume und ein Dazwischen, in dem sich wiederum eine handähnliche Form erhebt. Das Thema des gemeinsamen Improvisierens „zwischenzweien“ scheint hier bildlich vergegenwärtigt: Zwei, die sich gegenüber stehen, zwischen ihnen ein Raum, der einerseits danach verlangt, überbrückt oder gefüllt zu werden, der aber andererseits gerade als Leerraum das Potential der Arbeit und des gesamten Projektes ausmacht. Das Bild kann deswegen als Schlüsselbild der Ausstellung bezeichnet werden, auch weil es für Anne Brömme einen Höhepunkt und einen Endpunkt darstellt: einen Höhepunkt der Verbindung von Improvisation und konstruktivistischer Komposition, der dann aber im weiteren Verlauf des Projektes zugunsten der eben beschriebenen offenen Bildanlage aufgegeben wurde.

Weitergearbeitet hat Anne Brömme in Richtung der „partituren“ und „improvisationen“, in denen sie den Bildraum der reinen Improvisation überlässt. Entstanden sind eine ganze Reihe wundervoller Blätter, die einen gestischen, leichten, offenen Charakter haben. Wie alle Werke von Anne Brömme bestechen sie durch eine große Ausdruckskraft, die sie in ihren bisherigen Arbeiten zumeist mit vielfachen Überlagerungen, Freilegungen und komplexen Kompositionen miteinander korrespondierender oder streitender Elemente erreicht. Hat man in den Darstellungen ihrer Hände mitunter das Gefühl, man würde sie auf einmal von ganz Innen heraus verstehen – so sind es hier die Gesten, die Bewegungen der Hände und des ganzen Körpers der Künstlerin, die sich scheinbar direkt auf den Bildraum übertragen.

Im Zuge der Zusammenarbeit mit Jürgen Morgenstern hat Anne Brömme sich für diese Arbeiten ein eigenes Repertoire an Zeichen, Gesten, Bewegungsspuren und malerischen Mitteln aufgebaut, mit dem es ihr möglich ist, direkt auf die klanglichen Äußerungen zu reagieren, sie aufzugreifen, weiterzuentwickeln, eigene Bewegungen und Bilder dagegen zu setzten und Impulse zu geben, die wiederum vom Musiker aufgegriffen werden – bildnerische und akustische. Und so sind „improvisationen“ und „partituren“ regelrecht hörbar – zum einen, weil die Künstlerin Maluntensilien verwendet hat wie Bürsten, Schwämme, Drahtgeflechte oder die eigenen Finger, die selber tönen, zum anderen, weil die Bilder selber sichtbare und hörbare Geschichten von laut und leise, schnell und langsam, gleichmäßigen Harmonien und dramatischen Akzenten erzählen. Es entstehen Wellen und Verwirbelungen, klare Grenzen und verwischte Übergänge, greifende, streichende, fallende, hallende, reibende, kratzende und flügelschlagartige Momente – Bilder die tatsächlich nicht nur zeitliche sondern auch akustische und tänzerische Elemente integrieren und kreieren.

Jürgen Morgenstern hat seinerseits während der Zusammenarbeit eine Arbeit entwickelt, die den Dialog „zwischenzweien“ in den Ausstellungsraum überträgt. Ihn interessiert Musik in einem eher ganzheitlichen Sinn, als ein Überschreiten von Grenzen in Hörerlebnissen. Es geht ihm stets auch um neue Erkenntnisse darüber, was Musik sein kann. Seine Haupt-Instrumente sind der Kontrabass, die Ukulele und die Stimme, seine Leidenschaft sind immer neue Geräusche und Hörabenteuer. Die Klanginstallation „Zwischenacht“ besteht aus insgesamt neun Klang-Sequenzen, die am Kontrabass eingespielt und erzeugt wurden. Entstanden sind sie allesamt bei einer gemeinsamen Arbeitsszession mit Anne Brömme. Manche klingen wie ein Störgeräusch, andere wie ein Schleifen, wieder andere wie ein durchdringender Sinuston. Es streicht, vibriert, es schweigt aus den acht Lautsprechern – immer wieder ist es auch mal ganz still – es rüttelt und reibt, es quietscht und singt, es atmet, es schwingt und klopft, mal stakkato-artig mal sanft und fließend. Die verschiedenen Sequenzen werden per Zufallsprinzip ausgewählt und bilden eine immer neue, komplexe Klangcollage, mal ruhig, mal rhythmisch, mal echoartig, mal chaotisch, mal durchdringend, mal zurückhaltend. Wie in den Bildern von Anne Brömme ergeben sich hier vielfache Überlagerungen und Korrespondenzen, Disharmonien und leise Momente. Und immer wieder flüstert die Stimme aus „Meyers Konversation 8“ dazwischen. Man muss diese Arbeit als Besucher mit einer gewissen Ruhe auf sich wirken lassen, durch den Raum wandern, um den Dialog zu erleben, den diese Geräuschcollagen mit den Bildern von Anne Brömme eingehen. Tatsächlich ergeben sich fast magische Momente, in denen es scheint, als würden die Bilder selber die Geräusche und Klänge erzeugen oder andersherum, als wären sie es gewesen, die das Bild gemalt hätten.

Ein anderer bereits bei Anne Brömme angesprochener Aspekt ist das gestische Moment, sind die Bewegungen des Musikers mit dem Bogen, den Händen und dem ganzen Körper, die mit den Klanginstallationen quasi greifbar im Raum vergegenwärtigt werden. Und so liegt es nahe, dass Jürgen Morgenstern schon seit vielen Jahren mit einem Tänzer, mit Christoph Schütz, zusammen arbeitet, wie er überhaupt das Dialogische zu einem wichtigen Grundprinzip erhoben hat. Für das Projekt „zwischenzweien“ haben Anne Brömme und Jürgen Morgenstern Christoph Schütz für einige Szessions eingeladen. Aus dem Dialog wird eine Kommunikation zu dritt, die das gestische Moment nun zu einem eigenen Impulsgeber werden lässt. Christoph Schütz bewegt sich wie ein Schlangenmensch, wellenlinienförmig, scheinbar getrieben, gezogen von den Klängen und Geräuschen, die der Musiker seinem Kontrabass und seiner Stimme entlockt. Morgenstern wiederum arbeitet mit dem ganzen Körper, bewegt sich mit und um sein Instrument herum, wieder und wieder auch auf Impulse des Tänzers reagierend. Anne Brömme lässt ihre Bürsten und Schwämme immer schneller über das Blatt tanzen, sie reibt und springt mit der Hand von hier nach da und zurück, leicht, elegant und einen eigenen Rhythmus generierend, der schließlich mit dem von Jürgen Morgenstern und Christoph Schütz zusammengeht, sich steigert. Mitunter scheint jeder der drei Künstler ganz bei sich. Immer wieder finden sie dann zu zweit oder zu dritt zueinander – oder setzen den anderen ein neues Moment entgegen. Der Tänzer benutzt zwei beieinander stehende Säulen im Raum, um sich abzustoßen, anzustoßen, anzulehnen, die Hände daran zu reiben. Seine Performance wird so auch zum Sinnbild für das Projekt „zwischenzweien“.

Das Motiv der Bewegung hat Jürgen Morgenstern in der bereits erwähnten Arbeit „Sans Son“ noch einmal aufgegriffen und weiterentwickelt. Eine Videosequenz zeigt seine eigenen Hände, die Ukulele spielen und dabei einen regelrechten Tanz vollführen. Die Hände spielen nicht nur auf dem Instrument, sondern auch miteinander. Die Arbeit verzichtet bewusst auf einen Ton, funktioniert ganz als Bild und erzeugt doch eine Vorstellung von Musik. Damit schließt sich der Kreis, es sind Bilder entstanden, die hörbar sind, Klänge, die visuelle Assoziationen auslösen und mit den Bildern kommunizieren und eine Videoarbeit, die Musik und Tanz zum Bild werden lässt. Mit dem Projekt „zwischenzweien“ haben Anne Brömme und Jürgen Morgenstern nicht nur die Grenzen zwischen Malerei/Zeichnung und Musik/Geräuschkunst überwunden, sondern auch das Körperliche, die Zeit und den Raum einbezogen.

Anne Prenzler

VERORTUNGEN

lautet der Titel dieser Ausstellung, ein Begriff, der einiges Gewicht hat und zunächst Fragen aufwirft. Geht es um ein Austarieren, darum etwas an einem Ort zu finden, etwas an einen bestimmten Ort zu setzen? Um ein Ausloten?

Beginnen wir unsere Begegnung mit dem Werk von Anne Brömme mit einer Arbeit, die den Titel spuren trägt. Die großformatige Leinwandarbeit geht zurück auf eine malerische Improvisation zu einer musikalischen Performance von Jürgen Morgenstern. Anne Brömme hat zu Jürgen Morgensterns Klang-, Geräusch- und Instrumentalmontagen bildnerisch und dialogisch gearbeitet und dieses Ergebnis wiederum malerisch weiterentwickelt. Rhythmische, gestische Äußerungen mit dem Zeichenstift oder Pinsel wechseln sich ab mit flächigen Passagen, Bewegtheit und Ruhe, Leichtigkeit und Schwere, feine Strukturen und grob belassene Pinselstriche stehen nebeneinander, turbulent verlaufende und verwirbelte Farben folgen auf klare Formen, einige deutliche auch farbliche Akzentuierungen – hier in blau und hier ist das Wort Muse eingefügt – rhythmisieren das Bildganze, das wie ein Text oder eine Partitur von rechts nach links abläuft, in dem sich die Zeitlichkeit der musikalischen Performance direkt wiederfindet.

Als eine Abfolge malerischer und zeichnerischer Ereignisse wird hier die Zeit selbst im Bild erlebbar. Auf diese Weise gelingt es Anne Brömme einen ewigen Widerspruch der Bildenden Kunst zu überwinden, den Lessing in seinem Text Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie bereits 1766 beschrieben hat, dass es der Kunst nämlich – im Gegensatz zur Musik – unmöglich sei, Zeitlichkeit darzustellen. Die gesamte gestische Malerei und das Action Painting sind im Grunde Versuche die Dimension Zeit in die Malerei zu integrieren. In ihren Arbeiten gehe es um „seismografisches Zeitempfinden“ lesen wir auf der Einladungskarte. Ich denke hier sehen wir, was damit gemeint ist. In diesen Bewegungsspuren lotet Anne Brömme aus, wie wir das Vergehen der Zeit und das Erleben des Augenblicklichen in unterschiedlicher Weise empfinden können. Dieses Bild hat unterschiedliche Geschwindigkeiten, schnelle, rhythmisierte Passagen, ruhigere und dann sehr turbulente, in denen sich der Zeitstrom regelrecht verwirbelt und fast zum Stillstand kommt.

Insgesamt betrachtet haben wir mit spuren eine Arbeit vor uns, die im Bezug auf das Gesamtwerk von großer Offenheit ist und dabei eine unglaubliche Kraft entwickelt. Die gleiche Kraft finden wir aber nun interessanterweise auch in Arbeiten von Anne Brömme, die sehr ausgearbeitet sind, in denen sich viele Schichten übereinander legen und wie in einem Steinbruch partiell wieder freigelegt werden. In denen die Gewichte und die Gegengewichte sorgsam und in einem langwierigen Prozess verteilt werden. Auch hier wechseln sich ruhige und dynamische Passagen. Leichtigkeit und Flüchtigkeit treten in Dialog mit Dichte und Verdichtungen. Verschiedene Geschwindigkeiten und Stimmungsbilder werden sichtbar.

Anne Brömme hat mit erzählt, dass sie sich zu Beginn ihrer künstlerischen Arbeit vor allem mit streng geometrischen, meist kubischen Formen befasst hat, mit horizontalen und vertikalen Linien – ich finde das einen sehr interessanten Aspekt, denn es gibt Forschungen, die besagen, dass unser Auge beim Betrachten von Bildern immer nach vertikalen und horizontalen Linien sucht. Ein Erbe aus den frühen Tagen der Menschheit, als wir noch direkt in und mit der Natur gelebt haben, und in denen sich das Horizontale als Horizontlinie und das Vertikale als Linie, die durch die Wuchsrichtung der Bäume und anderer Pflanzen gebildet wird, als erstes und wichtigstes Orientierungs- und Ordnungssystem etabliert haben. Der Rückgriff auf dieses archaische und grundlegendste aller Ordnungssysteme ist in meinen Augen ein Moment, aus dem viele dieser Werke ihre innere Spannung und Kraft beziehen. Häufig gibt es eine Grundrichtung, entweder eine vertikale oder eine horizontale, zu der die andere jeweils gegenläufig angelegt wird. Zu den Geraden kommen diagonale Linien sowie Bögen und andere Rundungen organischer Natur, die ein zusätzliches Spannungsmoment bringen und die Arbeiten mitunter in narrative Ebenen steuern. Von einem Aufbruch oder einem Verharren in Geborgenheit erzählen sie uns, in denen sich neue Räume öffnen oder sich Dinge zuspitzen. Akzente setzt Anne Brömme auch durch den Einsatz von zeichenhaften Elementen, wie Zahlen, Buchstaben und fragmentarischen Darstellungen von Körperlichkeit sowie durch das Verwenden unterschiedlicher Malmaterialien, die reliefartige Oberflächenstrukturen entstehen lassen.

In der Arbeit neunundneunzig scheint mir das Aufbrechen der vertikalen und horizontalen Ordnungen soweit zu gehen, dass sich hier Oben und Unten durchdringen, die halbrunden länglichen Formen – wenn man will können es Schiffskörper und Segel sein – werden aufgefächert, neu ineinander verschoben, lösen sich auf und treffen wieder aufeinander. Die Arbeiten von Anne Brömme lösen den Gegenstand auf, um ihn neu zusammen zu denken und damit neu zu verstehen. Darin liegt ein weiterer Aspekt, der die Ausdruckskraft dieser Arbeiten begründet. Indem Anne Brömme die Dinge neu sieht, ringt sie ihnen ein symbolisches Potential ab, das mit den Mitteln der Sprache nicht auszudrücken ist. Die symbolischen Bedeutungen, um die es sich hier handelt, haben dabei im eigentlichen Sinne nicht mit der kanonischen Verwendung von Symbolen zu tun, wie sie Künstler jahrhundertelang als festgeschriebene Zeichensprache benutzt haben. Nach denen ein Schiff immer ein Symbol für eine Reise ist. Selbstverständlich gibt es so etwas wie einen archaischen Bedeutungskern, der auch in der zeitgenössischen Kunst eine Rolle spielt. Denn natürlich steht ein Schiff für einen Aufbruch, eine Reise oder ein Unterwegs Sein, aber vielleicht auch für ein Ankommen oder ein Verlorengehen. Im Werk von Anne Brömme haben wir es mit einer Symbolik zu tun, die diese Bedeutungen auf eine sehr persönliche Weise vereinnahmt, um eigene Aspekte erweitert und uns in einer Offenheit gegenüberstellt, die Raum für eigene Assoziationen und Projektionen lässt, so dass ihr Vorgehen ganz im Sinne Harald Szeemann als individuelle Mythologiebildung zu bezeichnen ist.

In vielen der Arbeiten in dieser Ausstellung spielen Körper und Körperteile eine Rolle. Als Bildhauerin ist Anne Brömme der menschliche Körper, eine Hand, oder auch ein Kopf zunächst einmal eine plastische Form, aber eben keine geometrisch berechnete, mathematisch vermessene, vielmehr steht das Außen hier immer für einen Innen, für einen ganz bestimmten Gemütszustand, für eine ganz spezifische Haltung zur Welt. Und so scheinen sich zwischen den Fingern ihrer Handdarstellungen regelrechte Kraftfelder aufbauen. Man sieht oder besser spürt förmlich die Sensibilität der eigenen Fingerkuppen bildnerisch dargestellt. Die Hände werden in ihrer Bedeutung erweitert, treten uns in verschiedenen symbolischen Facetten gegenüber, als leise Erinnerung an Berührung oder auch als kathedralenartiges Kraftfeld wie in der Arbeit sakral.

Der modellierte Kopf und die modellierte Hand stehen zunächst scheinbar in einem formalen Gegensatz zu den Auflösungserscheinungen, wie wir sie in einigen bildnerischen Arbeiten vorfinden. Aber letztlich geht es auch hier um einen präzisen und intensiven Ausdruck, der über das rein Formale hinausgeht und der – und das ist grundlegend für das gesamte Werk – das Außen immer vom Innen her begreift. Ich denke letztlich rührt die Kraft der Arbeiten von Anne Brömme gerade daher, dass sie die Dinge von ihrem innersten Wesen her zu begreifen und darzustellen sucht. Und so ist diese Hand ein Skulptur, in der sich ein ganzer Bedeutungshorizont von Hand auftut: Es geht um ein in Kontakt treten, um ein seismografisches Sammeln von Informationen, um ein tastendes Erkennen, um Kommunikation mit der Welt. Und der Kopf strahlt einfach eine unglaubliche in sich ruhende Stärke und Kraft aus.

Zum Ende möchte ich auf zwei Arbeiten eingehen, die mich persönlich sehr berührt haben, und die den Aspekt des Innen und Außen noch einmal anschaulich verdeutlichen: sprachlos eins und zwei. In sprachlos eins tritt uns ein Mund gegenüber, in dem das Schweigen, etwas das man ja nur negativ beschreiben kann – als Abwesenheit von Kommunikation – eine regelrechte körperliche Manifestation gefunden hat. Ich habe bei dieser Skulptur das unspezifische Bedürfnis, immer die jeweils andere Seite sehen zu wollen, in der Hoffnung wahrscheinlich dort so etwas wie eine Öffnung o.ä. zu finden. Aber diese Lippen bleiben verschlossen, ihre Form wurde umgestülpt von Innen nach Außen, und die unregelmäßige, farblich bearbeitete Oberfläche verstärkt diesen Eindruck noch, so dass man das Gefühl hat, alle Kommunikation ist hier nach Innen gerichtet, nichts, kein Laut dringt hinaus. Und in sprachlos zwei, das mich unmittelbar an die liegenden Skulpturen von Brancusi erinnert, manifestiert sich ein Schweigen, das eine unglaubliche Stille und in dieser Stille eine große Schönheit ausstrahlt.

Verortungen lautet der Titel dieser Ausstellung. Und um Verortungen geht es denke ich der Künstlerin vor allem hinsichtlich der Frage, wie wir selber uns in dieser Welt verorten, welche Haltung wir entwickeln, wie wir Dinge verstehen und sie angehen. Und ich möchte Sie nun einladen, in der Begegnung mit den Arbeiten diesen Fragen nachzugehen – sich berühren zu lassen und sich dabei Ihre eigenen Fragen zu stellen.

Anne Prenzler, 16.5.2010 – Rede anläßlich der Ausstellungseröffnung Galerie IMAGO – Bissendorf/Wedemark

Einführung zu Anne Brömmes Ausstellung ‚Rauchzeichen’
von Gyde Callesen, Schriftstellerin, www.gydecallesen.de

Zur Eröffnung der Ausstellung RAUCHZEICHEN – Rede zur Eröffnung von Gyde Callesesen – www.gydecallesen.de

Ich möchte mit einem Zitat der Künstlerin beginnen:
„Glatte, cleane Oberflächen interessieren mich nicht.“

Oberflächen… Will man sich Anne Brömmes Arbeiten nähern, geht es darum Oberflächen wahrzunehmen, Oberflächen zu berühren und sich von ihnen berühren zu lassen… Über diese Oberflächen gelangt man in die Tiefe, in die Geschichte der Arbeiten. Es ist ein langsames Ertasten, Erfühlen von Schichten, die Zeugnisse des Prozesses ihrer Entstehung sind. Ja, es sind keine glatten Oberflächen, es sind keine Werke, die im Vorübergehen abgehandelt werden können, sondern solche, die den Betrachter hineinziehen, wenn er hinschaut, die ihn durch Formen und Strukturen führen.
Die Formen- und Materialvielfalt der Künstlerin ist beeindruckend. Sie gehört nicht zu denjenigen Künstlern, die eine einmal gefundene Form wiederholend variieren, sondern ist eine, die sich immer neu auf den Weg macht. Sie ist eine der wenigen, die sowohl die zweidimensionalen Künste der Zeichnung und Malerei ebenso beherrscht wie die dritte Dimension, wie sie in der Bilderhauerei bzw. im Plastischen Gestalten auftaucht, die sich in einem kleinen Bild von dreißig mal dreißig Zentimetern ebenso auszudrücken vermag wie in einer raumfüllenden Installation.
Auch in dieser Ausstellung begegnen wir unterschiedlichsten Materialien, Formen und Größen von Arbeiten. Was all diese Arbeiten verbindet, ist die Verknüpfung von bewusster Gestaltung der Oberfläche und der darunter und darin liegenden Symbolkraft. „All art is at once surface and symbol“, wie Oscar Wilde sagte. Jede Kunst ist zugleich Oberfläche und Symbol. Dies trifft ganz besonders auf die Werke von Anne Brömme zu, in denen die Oberfläche geradezu zum Symbol wird. Zum Symbol einer Oberfläche von Welt und Mensch, die gleichzeitig verbirgt und enthüllt, die schützen und entblößen kann. Die Oberfläche eines Bildes, einer Skulptur wird hier zum Symbol von Begegnung. Es ist der Ort, wo das Werk, aber auch die Künstlerin dem Betrachter begegnet, gleichsam die Haut eines Werkes, als verbindende und trennende Linie zwischen Kunst und Welt, zwischen Du und Ich.
Die Arbeit mit der Oberfläche ist hier viel mehr als Form- und Materialexperiment, es ist die Auslotung dieser Grenze, an der jener Sprung ins Kunstwerk stattfindet.

Anne Brömmes Weg führt immer wieder durch die Materie, durch das Material. Es ist, als arbeitete sie sich durch die Schichten des Materials hindurch, durch den Gips, durch den Stein, durch die Farbe, die Kreide, in das Papier, in die Form hinein.
In ihrer Auseinandersetzung mit der Materie, die Ideen zu Formen und Ausdruck werden lässt, verwandelt sich das Wesen von Sein, scheint sich das Gegensätzliche für einen Moment zu vereinigen, scheint sich die Idee zu verkörpern bzw. der Körper sich für einen flüchtigen Moment der eigenen Vergänglichkeit zu entheben.
Prozesse der Verwandlung geschehen bei der Entstehung der Werke, und sie geschehen ebenso beim Betrachten. Immer wieder begegnet man anatomischen Formen, die von der Verletzbarkeit des Körperlichen ebenso zeugen wie von der Unzerstörbarkeit eines inneren, wesentlichen Kerns.

‚Rauchzeichen’ nennt Anne Brömme diese Ausstellung. Rauchzeichen werden gegeben, wenn eine verbale Verständigung nicht möglich ist. Rauchzeichen sind eine Botschaft, die es zu entschlüsseln gilt. Es ist eine eigene, archaische Sprache, um etwas Existentielles mitzuteilen. Es ist eine Sprache, die aus dem Feuer entsteht, aus dem Brennen der Materie. Eine Sprache der Verwandlung. Rauchzeichen werden erst möglich, wenn Holz zu Asche wird, wenn Gestern vergeht und Heute aufersteht.
Um Rauchwolken zu erhalten, wie sie vor allem bei den Indianern Nordamerikas zur Fernkommunikation verwendet werden, wird dem offenen Feuer meistens nasses Gras zugesetzt. Anschließend wird die nun stark qualmende Feuerstelle mit einer Decke abgedeckt. Der sich sammelnde Rauch wird in bestimmten Abständen freigesetzt, so dass eine Zeichenfolge von „Rauch“ und „Nichtrauch“ entsteht, ähnlich wie beim Morsen.

Rauchzeichen sind Übertragungen, Übersetzungen von Leben. Verschlüsselungen und Entschlüsselungen. Sie bedeuten etwas. Sie sind flüchtig. Der Wind trägt sie davon. Die Manifestation dieser Botschaft sind die Werke, wie Sie sie hier sehen und ihnen hier begegnen.
Zur Künstlerin: Anne Brömme wurde 1963 in Halle geboren und studierte an der Kunst-Hochschule ‚Burg Giebichenstein’. Nach ihrem Abschluss lehrte sie für einige Zeit selber dort, bevor sie nach Hannover umzog, wo sie seitdem lebt und wirkt. – Zum großen Glück für Hannover… – Neben ihrer künstlerischen Arbeit ist sie Dozentin für Zeichnung, Malerei und Plastisches Gestalten, u.a. an der Leonardo Kunstakademie in Salzburg. Darüber hinaus war und ist sie an diversen Kunstprojekten im öffentlichen Raum beteiligt. So baute sie zum Beispiel mit psychisch Kranken am Landeskrankenhaus Wunstorf gemeinsam mit Usch Jacobi einen Skulpturenpark. Seit 1990 hat Anne Brömme in ganz Deutschland ausgestellt. Sie wurde mit zahlreichen Stipendien ausgezeichnet, u.a. von der Stiftung Kulturfonds, Berlin und vom Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste – lassen Sie sich bewegen und berühren von den Oberflächen und Tiefen von Anne Brömmes Werken.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.